08
Jul
16

Über die Freiheit.

Neulich hat die PR Frau Daniela Heggmaier das Stichwort Dankbarkeitstagebuch in die Runde geworfen. Ihre These: Wer jeden Tag aufschreibt, was im Leben gerade glücklich, leicht und erfolgreich läuft, verstärkt die Tendenz zum Glücklichsein, zur Leichtigkeit und zum Erfolg.

Macht für mich Sinn!

Wofür also bin ich heute dankbar, am Morgen dieses sonnigen 8. Juli 2016?

Zum Beispiel für die Gestaltungsfreiheit, die im Status der selbstständigen, freien Texterin möglich ist: Nur mit Papier, Stift und Laptop ausgestattet, darf ich heute in meinem Lieblingscafé Dukatz  einen „Wer sind wir?“-Text für eine Agentur auf den Weg bringen, später auf einer Lederbank im Literaturhaus eine Netzwerk-Kollegin treffen und eine gemeinsame Veranstaltung besprechen. Heute Nachmittag treffe ich einen Kunden am Starnberger See, um ein Jahresmotto für einen Kunstverein zu finden. Dieser Tag hat viele Wege!

Neue Wege hat auch Anke Meyer-Grashorn beschritten. Ich habe sie als Kundenberaterin bei Serviceplan 1996 kennengelernt, bevor sie um die Jahrtausendwende eine kleine, wilde Agentur im Bahnhofsviertel gründete, deren Name so selbstbewusst und visionär war wie Anke selbst: DIE GROSSE FREIHEIT. Ich war inzwischen selbstständig und so durfte ich oft anradeln, um Aufträge für Mini, FHM oder Trockenbau München zu besprechen. Und ich tat das ziemlich gerne, weil Anke und ihr Team die klarsten, plausibelsten Briefings rüberbrachten – detailgenau, aber nicht klein-klein. Mit klarer Zielvorgabe und echtem mit Mut für verrückte, ungesehene Ideen. Kurz: Anke ist der perfekte Link zwischen Kunde und Kreativen. Das ergab im Kopf eine GROSSE FREIHEIT. Und lustige Ideen für viele Kunden.

Neulich habe ich Anke bei einer Veranstaltung in meinem Atelier wieder getroffen. Sie schreibt jetzt Bücher, hält Vorträge, betreibt eine Event-Location und berät Unternehmen. Die Agenturwelt hat sie hinter sich gelassen. Hier ein Text, den ich mir damals für die Imagebroschüre der Großen Freiheit habe einfallen lassen. Ankes Briefing damals: „Was fällt eigentlich DIR zum Thema Freiheit ein? Mach‘ mal.“

Das hier ist mir damals dazu eingefallen. Danke, Anke

GROSSE FREIHEIT: EIN BESTELLER.

Ich hätte diesen Anruf nicht annehmen sollen.

Jemand von der Agentur fragte, ob ich bereit sei, eine Geschichte zu schreiben. Ich kann keine Geschichten schreiben! Eine Geschichte über – Freiheit! Völlig losgelöst von Werbung, auch nichts Historisches, nein: ganz subjektiv, ohne Einschränkungen und ohne Vorgaben…Die Leute haben Vorstellungen!

Spontan hätte ich „nein“ gesagt. Schließlich bin ich weder Bürgerrechtlerin noch Schriftstellerin. Ich bin Werbetexterin. Ein Profi. Und Profis verkaufen Dinge, von denen sie Ahnung haben. Jedenfalls täuschen sie das gekonnt vor. Alle anderen Anfragen lehnen sie souverän und freundlich ab.

Genau das hätte ich auch diesmal tun sollen. Doch irgendetwas hielt mich davon ab, irgendetwas Unerklärliches reizte mich an dieser Anfrage. Was für ein Wahnsinn! Vielleicht, weil es mir schmeichelte, daß man mir Kompetenz in Sachen Freiheit zutraute. Wahrscheinlich aber auch, weil ich von meiner Werbe-Schreibe manchmal genug hatte und insgeheim längst auf einen neuen Kick wartete. Endlich raus aus dem Agenturtrott! Spannung! Abenteuer!

Ich sagte zu.

Kaum hatte ich den Hörer aufgelegt, geriet ich in helle Panik. Was wusste ich schon zum Thema Freiheit? Was von Kurzgeschichten auf Bestellung? Und hatten wir überhaupt schon das Honorar festgelegt?

Drei ganze Tage verbrachte ich zwischen Mulmigkeit und Verzweiflung. Tagsüber rang ich mit einer Absage, nachts wälzte ich mich in der Hoffnung auf irgendeine Idee. Idee? Verdammt, was für eine Idee?

Allein schon den Begriff ‚Freiheit‘ verknüpfte ich mit immer unangenehmer werdenden Assoziationen. Irgendwann konnte ich nur noch an philosophische Gesamtausgaben in der Staatsbibliothek denken, an beschönigende Ergüsse in Frauenzeitschriften und hoffnungslos verkitschte Schmöker à la Hera Lind. Also auswandern? Kuba? Lanzarote? Bad Ischl?

Es war paradox: Je mehr ich mich der Freiheitsgeschichte nähern wollte, desto enger wurde mein Hals. Je größer ich die Herausforderung empfand, desto spitzer wurde das Damoklesschwert über meinem Kopf. Klingelte da eben das Telefon? Wie sollte ich also eine ‚losgelöste‘ Story abliefern? Ebensogut hätte ich geruchsneutrale Duftlampen oder Tennisschuhe mit Stöckelabsätzen erfinden können. Und das wäre noch ein leichtes gewesen, für einen Profi wie mich…

Das Ganze ist jetzt ein Dutzend Jahre her – und mit Abstand betrachtet kann ich behaupten, diese Verzweiflung war genau das, was ich damals brauchte.

Denn ohne sie wäre aus der Auftrags-Kurzgeschichte niemals mein erster Roman „Die wahre Geschichte der Freiheit“ geworden, der acht Wochen lang die „Spiegel“ – Bestsellerliste angeführt hat. Acht Wochen! Supergeil, oder?

Und dann? Kaum hatte ich die ersten Erfolge von ‚Freiheit‘ verarbeitet – von so vielen Interviews, Fototerminen und anderen öffentlichkeitswirksamen Auftritten in Funk und Fernsehen hätte ich als Werbetexter natürlich nur träumen können – wollte ich nur noch eins: Bücher schreiben.

Nicht daß Sie glauben, daß nach „Freiheit“ alles von alleine ging. Tage – und wochenlang mußte ich mich einschließen und rackern, bis ich das Thema für mein zweites Werk hatte. Und erst nachdem ich es beim Verlag durchgesetzt hatte, konnte ich mit der eigentlichen Arbeit loslegen. Arbeit? Maloche! Sklaverei!

Vielleicht lag es am Thema. „Langeweile und Vernunft in der Menschwerdung“, so hieß der zweite Roman, reichte bei Weitem nicht an den Erfolg des Ersten heran. Dennoch habe ich aus ihm gelernt, denn mit zunehmender Mühelosigkeit hackte ich Bücher über ‚Transsexualität und Astronomie‘ in den Computer, über ‚Sex im Schnee‘, einen Kurzgeschichtenband über ‚Werdende Stiefmütter‘ sowie Biografien über Sebastian Schweinsteiger, Florian Haller und Xavier Bardem. Was man eben so alles zusammenschreibt für Geld!

Ich schrieb also und schrieb. Bald wurde mir bewußt, was geschehen war: Ich hatte das Schriftsteller-Handwerk im  Griff. Meine Schreibe hatte einen neuen Hafen gefunden. Seitdem geht mir alles so spielend von der Hand, daß mich fast schon wieder ein beklemmendes, beunruhigendes Gefühl beschleicht. Völlig losgelöst…

Aber ich will nicht undankbar sein. Jeden Tag denke ich an den Anruf  von damals zurück. Dieser Anruf hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin: Ein Profi. Souveräne, freundliche Verkaufe!

Ich bin Schriftstellerin. Das ist das Ding, wovon ich Ahnung habe. Alles andere interessiert mich nicht. Oder gibt es vielleicht doch etwas anderes, Neues, Verheißungsvolles auf dieser Welt?

Ich muß mal eben ans Telefon, das klingelt schon die ganze Zeit…